Das Leben besteht aus seltenen einzelnen
Momenten von höchster Bedeutsamkeit
und unzählig vielen Intervallen,
in denen uns bestenfalls die Schattenbilder
jener Momente umschweben.
Die Liebe, der Frühling, jede schöne Melodie,
das Gebirge, der Mond, das Meer – alles das redet
nur einmal ganz zum Herzen,
wenn es überhaupt je ganz zu Worte kommt.
Denn viele Menschen haben jene Momente gar nicht
und sind selber Intervalle und Pausen
in der Symphonie des wirklichen Lebens.
(Friedrich Wilhelm Nietzsche)
Was für kostbare Momente. Die Zeit ist schon ein seltsames Konstrukt. So individuell einzigartig für jede einzelne Person.
Dieses Bild steht stellvertretend für einen wertvollen Moment ... einen wertvollen Moment für mich.
Wie unendlich lang dauerte es, bis ich meine Kleine endlich einmal aus dem Klinikzimmer mit dem mit Fliegengitter bespannten Fenster, ins Freie nehmen durfte. Nur kurz sollte es sein. Eine halbe Stunde Frischluft und das nur deswegen, weil ich sie auf der Intensivstation alleine versorgte und schon lange nicht mehr auf Apparate schaute, um zu wissen, ob alles in Ordnung war. Zum ersten Mal in ihrem Leben, nach viereinhalb Monaten in der Klinik, sollte meine Tochter den Himmel sehen und im kleinen Krankenhauspark (direkt vor der Kinderklinik) Bäume. Dort hoppelten wilde Kaninchen herum und ein kleiner runder Teich beherbergte Teichhühner mit ihren Küken.
Aus dem Altbau der Kinderklink heraus tretend weiteten sich die Augen meiner Kleinen. Die Augen wurden groß und größer. Zum ersten Mal blauer Himmel! Klare Farben! Nicht wie aus dem Bett erlebt, verschwommen und getrübt durch die grauen Fliegengitter. Unter einer Plantane blieb ich stehen. Die Äste wiegten sich leicht im Wind und die Blätter raschelten. Nur langsam löste sich ihr Blick und sie schaute zu einem Rosenstrauch. Ich nahm es als Aufforderung und schob den Wagen langsam dorthin. Vorsichtig streckte sie die Hand aus. Ich bog einen Zweig so, dass sie schnuppern konnte und wieder wurden die Augen vor Erstaunen groß. Ich bückte mich und pflückte ein paar Gänseblümchen. Sie lächelte und griff zu. Fest zu, so dass die Knöchel ihrer kleinen Hand weiß sichtbar wurden. Sie führte die Blumen zum Gesicht und die kleinen Blütenblätter kitzelten ihre Nase und Wangen. Sie schüttelte ihren Kopf und lächelte. Die frische Luft und die neuen Eindrücke zeigten Wirkung. Sie gähnte nach kurzer Zeit und schlief mit dem Blick auf die Teichhühner zufrieden ein.
Der Oberarzt kam vorbei und wechselte mit mir kurz ein paar Worte. Er war erstaunt, dass ich mir traute, mit meiner Kleinen alleine spazieren zu gehen. Als ich ihm die Werte zeigte und meinte, ich würde gerne länger draußen bleiben, da sie stabil war und die Situation sichtlich genoss, stimmte er mir zu. Ich sollte halt weiterhin die Gerätschaften im Auge behalten. Er wollte in der Station Bescheid geben, dass er mir die Erlaubnis gegeben hatte und ich - mit seiner Erlaubnis - etwas später hoch käme. Was für eine Freude für mich! Was für ein toller Tag!
Ich wollte den Moment genießen und schob den Wagen zu einem gepflasterten runden Platz. Man saß dort windgeschützt, da er mit Steinmauern umrandet war, welche Wärme speicherten. Natürlich konnten sich auch die Patienten und Angehörigen aus den anderen Klinikgebäuden dort erholen. Ich setzte mich vorsichtig und machte die Bremsen des Kinderwagens fest. Zum allerersten Mal hatte ich als Mama mein eigenes Baby in einem Kinderwagen herum gefahren. Ein bisschen Normalität in all dieser Zeit. Stolz und glücklich betrachtete ich meine Kleine. Sie sah so wunderschön aus.
Die Werte waren perfekt. Der Monitor hing am Kinderwagengriff. Ebenso war die Sauerstoffflasche dort hingehängt worden und lag direkt am Korpus des Wagens an. Unter dem Kinderwagen war für den Notfall das Absauggerät für die Lunge verstaut und mit einem Tuch abgedeckt. Im Fußbereich des Bettchens stand die Nahrungspumpe. Der Zugang zur Jejunalsonde (künstliche Ernährung über den Dünndarm) war unter der Bettdecke versteckt. Der Perfusor für die Medis war nicht angeschlossen. Man sah also nur die Stange, an der der Nahrungsbeutel hing und mein Kind - wenn man direkt in den Wagen schaute - so wie auf dem Foto erkennbar.
Dieser wunderschöne Moment wurde jäh zerstört. Zwei Frauen setzten sich mir gegenüber auf die Parkbank. Die eine schaute mich mit zusammengekniffenen Augen böse an. Ich dachte mir nichts dabei. Jeder konnte einen schlechten Tag haben. Dann zündeten sich beide eine Zigarette an und fingen an zu rauchen. Plötzlich giftete mich die eine Frau laut an, ich wäre mit meinem Kind eine Zumutung für die Gesellschaft. Ich solle gefälligst verschwinden. Ich war fassungslos. Erwidern konnte ich nichts. Ich war zu geschockt. Ich hab mir nur in diesem Moment gedacht, wie vielen Eltern mit sichtbar behinderten Kindern oder behinderten Erwachsenen ist wohl schon so etwas passiert? Wenn Menschen schon so verletzend sind, obwohl sie nicht einmal erkennen können, was eigentlich dem Baby fehlt, um wie viel grausamer sind sie wohl, wenn sie eine deutliche Behinderung erkennen? Ich ging in die Klinik zurück. Die Kleine schlief unbeeindruckt weiter. In ihrer Hand fest umschlossen die Gänseblümchen.
Hoffen wir einmal, dass diese Damen im Alter (wenn sie krank sind oder Hilfe benötigen) verständnisvolle Pfleger finden, die eine andere Sichtweise haben und sie dann nicht als Zumutung für die Gesellschaft sehen.
Dieses Bild steht stellvertretend für einen wertvollen Moment ... einen wertvollen Moment für mich.
Wie unendlich lang dauerte es, bis ich meine Kleine endlich einmal aus dem Klinikzimmer mit dem mit Fliegengitter bespannten Fenster, ins Freie nehmen durfte. Nur kurz sollte es sein. Eine halbe Stunde Frischluft und das nur deswegen, weil ich sie auf der Intensivstation alleine versorgte und schon lange nicht mehr auf Apparate schaute, um zu wissen, ob alles in Ordnung war. Zum ersten Mal in ihrem Leben, nach viereinhalb Monaten in der Klinik, sollte meine Tochter den Himmel sehen und im kleinen Krankenhauspark (direkt vor der Kinderklinik) Bäume. Dort hoppelten wilde Kaninchen herum und ein kleiner runder Teich beherbergte Teichhühner mit ihren Küken.
Aus dem Altbau der Kinderklink heraus tretend weiteten sich die Augen meiner Kleinen. Die Augen wurden groß und größer. Zum ersten Mal blauer Himmel! Klare Farben! Nicht wie aus dem Bett erlebt, verschwommen und getrübt durch die grauen Fliegengitter. Unter einer Plantane blieb ich stehen. Die Äste wiegten sich leicht im Wind und die Blätter raschelten. Nur langsam löste sich ihr Blick und sie schaute zu einem Rosenstrauch. Ich nahm es als Aufforderung und schob den Wagen langsam dorthin. Vorsichtig streckte sie die Hand aus. Ich bog einen Zweig so, dass sie schnuppern konnte und wieder wurden die Augen vor Erstaunen groß. Ich bückte mich und pflückte ein paar Gänseblümchen. Sie lächelte und griff zu. Fest zu, so dass die Knöchel ihrer kleinen Hand weiß sichtbar wurden. Sie führte die Blumen zum Gesicht und die kleinen Blütenblätter kitzelten ihre Nase und Wangen. Sie schüttelte ihren Kopf und lächelte. Die frische Luft und die neuen Eindrücke zeigten Wirkung. Sie gähnte nach kurzer Zeit und schlief mit dem Blick auf die Teichhühner zufrieden ein.
Der Oberarzt kam vorbei und wechselte mit mir kurz ein paar Worte. Er war erstaunt, dass ich mir traute, mit meiner Kleinen alleine spazieren zu gehen. Als ich ihm die Werte zeigte und meinte, ich würde gerne länger draußen bleiben, da sie stabil war und die Situation sichtlich genoss, stimmte er mir zu. Ich sollte halt weiterhin die Gerätschaften im Auge behalten. Er wollte in der Station Bescheid geben, dass er mir die Erlaubnis gegeben hatte und ich - mit seiner Erlaubnis - etwas später hoch käme. Was für eine Freude für mich! Was für ein toller Tag!
Ich wollte den Moment genießen und schob den Wagen zu einem gepflasterten runden Platz. Man saß dort windgeschützt, da er mit Steinmauern umrandet war, welche Wärme speicherten. Natürlich konnten sich auch die Patienten und Angehörigen aus den anderen Klinikgebäuden dort erholen. Ich setzte mich vorsichtig und machte die Bremsen des Kinderwagens fest. Zum allerersten Mal hatte ich als Mama mein eigenes Baby in einem Kinderwagen herum gefahren. Ein bisschen Normalität in all dieser Zeit. Stolz und glücklich betrachtete ich meine Kleine. Sie sah so wunderschön aus.
Die Werte waren perfekt. Der Monitor hing am Kinderwagengriff. Ebenso war die Sauerstoffflasche dort hingehängt worden und lag direkt am Korpus des Wagens an. Unter dem Kinderwagen war für den Notfall das Absauggerät für die Lunge verstaut und mit einem Tuch abgedeckt. Im Fußbereich des Bettchens stand die Nahrungspumpe. Der Zugang zur Jejunalsonde (künstliche Ernährung über den Dünndarm) war unter der Bettdecke versteckt. Der Perfusor für die Medis war nicht angeschlossen. Man sah also nur die Stange, an der der Nahrungsbeutel hing und mein Kind - wenn man direkt in den Wagen schaute - so wie auf dem Foto erkennbar.
Dieser wunderschöne Moment wurde jäh zerstört. Zwei Frauen setzten sich mir gegenüber auf die Parkbank. Die eine schaute mich mit zusammengekniffenen Augen böse an. Ich dachte mir nichts dabei. Jeder konnte einen schlechten Tag haben. Dann zündeten sich beide eine Zigarette an und fingen an zu rauchen. Plötzlich giftete mich die eine Frau laut an, ich wäre mit meinem Kind eine Zumutung für die Gesellschaft. Ich solle gefälligst verschwinden. Ich war fassungslos. Erwidern konnte ich nichts. Ich war zu geschockt. Ich hab mir nur in diesem Moment gedacht, wie vielen Eltern mit sichtbar behinderten Kindern oder behinderten Erwachsenen ist wohl schon so etwas passiert? Wenn Menschen schon so verletzend sind, obwohl sie nicht einmal erkennen können, was eigentlich dem Baby fehlt, um wie viel grausamer sind sie wohl, wenn sie eine deutliche Behinderung erkennen? Ich ging in die Klinik zurück. Die Kleine schlief unbeeindruckt weiter. In ihrer Hand fest umschlossen die Gänseblümchen.
Hoffen wir einmal, dass diese Damen im Alter (wenn sie krank sind oder Hilfe benötigen) verständnisvolle Pfleger finden, die eine andere Sichtweise haben und sie dann nicht als Zumutung für die Gesellschaft sehen.