Ja, so harmlos schaut er aus, doch täuscht euch nicht. Das hier ist ein Kamikaze-Igel. Eine springende, boxende Stachelkugel, die es selbst eingerollt und auf dem Rücken liegend schafft, seinen Ringmuskel so ruckartig zusammenzuziehen, dass man schmerzhafte Stiche sämtlicher Stacheln abbekommt. Schnaubend wie eine Dampflok, laut tuckernd, fauchend und mosernd, hat der kleine Stachelpelz sich sehr bald seinen Namen verdient. Im Ernst - wäre es mein erster Igel gewesen, hätte ich an eine Tollwut-Erkrankung gedacht. Dies kam aber bisher selten vor (dreizehn Mal in Europa) und der manchmal entstehende Schaum vorm Mund des Igels hat nichts mit einer Krankheit zu tun. Igel "schäumen vor Begeisterung" wenn sie neue Dinge riechen und speicheln sich mit dem Schaum ein. Das sieht lustig aus, da der Igel sich dabei verrenkt und manchmal auch umpurzelt, aber ist völlig harmlos. So war es mir zumindest klar, der Kleine hat Kampfgeist und das ist besser als jegliches apathisches Verhalten.
Ich massierte ihm den Bauch. Dieser war so prall und heiß - es machte mir Sorgen. Der Igel war schon zu groß als dass man Toilletting mit ihm machen müsste. Er litt allerdings an massiver Verstopfung. Sicherlich hatte er lange nichts mehr gefressen und getrunken. Die ersten Hinterlassenschaften waren schwarz, klein und bröselig. dann kamen ein paar Bröckchen mit einem leicht schleimigen Überzug. Die Flüssigkeitszufuhr über die Spritze (ohne Nadel) begeisterte ihn nicht, doch irgendwann kam endlich eine kleine, weiche Wurst. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Bauch weicher. Nein, er zeigte sich auch da nicht dankbar sondern motzte während der gesamten Zeit, in der ich mich um ihn bemühte, herum.
Mr. Motzki verweigerte die Futteraufnahme. Er fraß weder Katzennassfutter, noch Rinderhack, verschmähte ungewürztes, gekochtes Hähnchenklein und spezielles Igelfutter - egal ob Nassfutter oder Trockenfutter. Das bei Igeln allseits beliebte "Royal Canyin Babycat" - jetzt Mother & Babycat - (hat für Igel eine sehr gut verwertbare Zusammensetzung) rührte er nicht an und so bot ich ihm eine Vielzahl Leckereien an - ohne Erfolg. Vom Rührei kostete er endlich. Wie freute ich mich darüber. Aber es musste Rührei sein, dass mit dem Sud vom Hähnchenklein verquirlt wurde. Doch auch da... An einem Tag fraß er, am nächsten Tag ließ er es stehen. Das Prozedere des Wiegens wurde zur Geschicklichkeitsübung. Er flink, ausdauernd und ein oft hüpfendes Stachelkissen, wand sich aus allen Positionen. Ich wünschte mir - mehr als einmal - ich hätte mehr Hände.
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Rührei mit klein geschnittenen und ganzen
Hähnchenherzen, sowie zugemischtem Igelfertigfutter.
Trockenfutter gibt es in einer Extraschüssel. |
In der Wärme, die ein kranker Igel benötigt um seinen Stoffwechsel zu aktivieren, vermehren sich leider die inneren Parasiten, bzw. die im Körper vorhandenen Würmer wachsen schneller, als es der Gesundheitszustand des Igels verkraftet. Also startete wieder das wohlbekannte Prozedere. Stuhlprobe sammeln! Dabei sammelt man ab Beginn der Igelpflege drei Tage lang die Hinterlassenschaft. Vorzugsweise die schleimigen, grünlichen und weichen Anteile, da sich dort die meisten Würmer nachweisen lassen.
Warum nicht einfach mit einer Wurmkur vom Tierarzt entwurmen? Weil dies für ein Igelbaby oftmals tödlich ausgehen kann. Die Dosierung muss dem Igelgewicht angepasst erfolgen! Vor allem kranke und schwache Igel haben einen Stoffwechsel, der zu empfindlich auf Spot-On-Präparate und Wurmmittel reagiert. Leider werden Igel noch viel zu oft wie Katzen entwurmt und sterben dann einige Tage später. Es hilft auch nicht jedes Wurmmittel für jeden Wurm! Was auch oft nicht bedacht wird: Bei zu starkem Befall an Würmern in der Lunge, kann der Igel nach der Entwurmung an den abgestorbenen Würmern sterben, wenn er diese nicht abhusten kann. Deshalb muss man ihm medikamentös das Husten erleichtern.
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Endlich weichere Kotbröckchen, aber leider auch schon
Schleim sichtbar |
Mein Mann brachte für mich netterweise bereitwillig das Kuvert mit der Stuhlprobe zur Post. Stuhprobenbecher hatte ich nicht mehr - wären auch zu dick für das Kuvert gewesen. Filmdosen sind seit den Digitalkameras Geschichte. Ich nahm also als Ersatz einen Zippbeutel. Dann ein Luftpolsterkuvert. Es half nix. Mein Mann berichtete mir abends hochrot, dass ihn ein "seltsam, stechend müffelnder Geruch" zur Post begleitete.
Am Schalter traf ihn ein sehr strenger, skeptischer Blick... Die Dame musterte die Adresse und daraufhin wieder durchdringend meinen Mann. Seine beschwichtigende Aussage: "Nicht wundern, es befindet sich eine Stuhlprobe im Kuvert!", sorgte nicht für Verständnis, sondern für blankes, entrüstetes Entsetzen. Es ratterte bei ihm und er sagte etwas lauter: "Um Gottes Willen, doch nicht meine! Da ist Igelkacke drin!" Da drehten sich dann alle um!
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Sammelprobe von drei Tagen - mehr gab es nicht zu holen |
Die Dame meinte, es gäbe dafür extra Kuverts, die dann "offiziell" an Labore gesendet werden, aber Stuhlproben auf dem normalen Postweg...! Als mein Mann an diesem Tag heim kam, sah er ziemlich zerrupft aus. Diverse Kommentare seinerseits über den Tag im Postamt und meiner Tierliebe erspare ich euch.
Ich konnte es allerdings auch nicht lassen. Am nächsten Tag, als ich in mein E-Mail-Fach schaute, informierte ich staunend meinen Mann, dass schon eine Mail über die Ergebnisse da war. Ich las sie und sagte: "Die Probe war nicht verwertbar, du musst noch mal zu Post...!" Reaktion? Blankes Entsetzen!
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So sieht gesunder Igelkot aus: fest, geformt und dunkel |
Mr. Motzki hatte starken Befall an Haarwürmer und zusätzlich Lungenwurmlarven. Von Bandwürmen, Saugwürmern, Kokzidien blieben wir Gott sei Dank verschont. Er brauchte zusätzlich zur Entwurmung Antibiotika und Schleimlöser. Mittlerweile erweiterte Mr. Motzki fleißig sein Repertoire an Gemeinheiten. An guten Tagen und mit etwas besserer Laune, begrüßte er mich nur mit Fauchen, Tuckern und aufgestellten Stacheln. Er war allerdings "lernfähig" und biss sich sozusagen durch. Mr. Motzki war mein erster Igel den ich mit festen Gartenhandschuhen (mit unterarmlangen Stulpen) anfassen musste. Wer es noch nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, wie gelenkig diese Meckis werden können, wenn sie etwas wollen oder eben nicht wollen. Angst hatte er nicht. Dieser Igel rollte sich nur ein, damit er die größtmögliche Spannkraft ausnutzen konnte um einen entgegen zu schnellen. Das Gegenstück zu Wuchtbrummel im letzten Jahr. Dennoch die Behandlung schlug Gott sei Dank an. Endlich fraß er normal, aber das nächste Problem stand - sozusagen als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk - leider schon in den Startlöchern.