Donnerstag, 12. Februar 2015

Das Licht im Fenster




Das Licht im Fenster ist erloschen.


Es war Spätherbst.  Damals fuhr ich am frühen Morgen zu meinem neuen Dienstort. Es war noch dunkel und die Hektik des Tages hatte noch nicht begonnen. Als ich durch ein kleines Dorf fuhr, bemerkte ich auf der anderen Straßenseite in einem Haus im ersten Stock ein grell erleuchtetes Zimmerfenster. Die Vorhänge waren auf eine Seite des Fensters geschoben und gaben den Blick in das Zimmer frei. Die Konturen eines Bettgalgens waren zu sehen und am "Aufrichter" (diese dreieckige "Triangel" über dem Bett) klammerte sich ein Mensch fest. Ich konnte allerdings nur den nackten mageren Unterarm sehen und einen Teil des Oberarmes. Zu viel bleiche Haut über die fleischlosen Knochen hängend, Konturen überdeutlich sichtbar durch das helle Licht.
Dieses Bild vom Halt suchendem Arm, begleitete mich damals durch den Tag und ich habe es jetzt noch vor mir. 

In der folgenden Zeit zog es meinen Blick immer wieder zu dem Fenster. Man ließ den Vorhang stets zurück gezogen, damit die Person einen uneingeschränkten Blick nach draußen hatte. Manchmal hingen Jahreszeiten bezogene Bilder am Fenster, manchmal stand das Auto vom medizinischen Dienst vor dem Haus. Ab und an, selten, standen frische Blumen am Fenster. Am Anfang sah ich den Arm noch oft nach oben gestreckt, die Hand den Aufrichter umklammernd.

Einmal blieb das Licht aus und ich fuhr nachdenklich zur Arbeit. Ob etwas geschehen war? Am nächsten Tag leuchtete mir wieder das Licht aus dem Zimmer entgegen. Mich ergriff Erleichterung. Ich vermutete, dass vielleicht der Tagesrhythmus einfach  durcheinander geraten war.

An einem anderen Tag war das Zimmer sehr belebt und mehrere Menschen waren hektisch am Bett beschäftigt. Ich kannte die kranke Person nicht, doch ich konnte mich nicht gegen das Gefühl der Sorge wehren. Dieses Licht im Fenster, der unbekannte Mensch mit seiner Lebensgeschichte, waren mittlerweile zu einem Teil meiner Fahrt zur Arbeit geworden.

Wie lange braucht man, um an ein Haus in einem Dorf vorbei zu fahren? Es sind doch nur Sekunden und dennoch nehmen wir so viele einprägsame Bilder wahr.

Irgendwann war der Arm und die Hand am Aufrichter nicht mehr zu sehen, doch das Licht leuchtete tapfer weiterhin durch die Dunkelheit.

Nun, nach knapp vier Jahren, bleibt das Zimmer dunkel. Wann fiel es mir zum ersten Mal bewusst auf, dass es nun für immer dunkel bleibt? Ich kannte diese Person nicht, dennoch war sie mir vertraut und begleitete mich ein Stück durch meine Alltagswelt.

Es fehlt mir das Licht. Das Fenster bleibt dunkel und reiht sich nun unauffällig in die Häuserfront ein. Der Vorhang ist zugezogen und es verzieren keine Bilder mehr das Fenster.
Das Lebenslicht scheint erloschen zu sein.

Die Erinnerung an das Licht jedoch bleibt erhalten.




9 Kommentare:

  1. Ich habe grade Gänsehaut !
    Alles Liebe
    Karen

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  2. Danke, für deine sehr berührende Geschichte,
    ich sende dir liebe Grüße
    Hermine

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  3. Ja. Hinter Fenstern geschieht oft was....
    Liebe Grüße!

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  4. Eine "Geschichte" die berührt und nachdenklich macht.
    Herzliche Grüße
    Ursula

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  5. Ein sehr ergreifendes Erlebnis, Carola !
    es waren nur Sekunden und doch so viele Gedanken.
    Stelle Dir vor, Du könntest durch jedes Fenster sehen,
    Wie viel Kraft bräuchte man ... ?

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  6. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  7. Liebe Carola,

    diese Geschichte hat mich doch ein paar Tage beschäftigt. Wir müssen sehr auf einander aufpassen.

    Liebe Grüße
    Lisa

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  8. Liebe Carola,
    wieder so ein schöner Beitrag der Emotionen weckt.
    Ja, man bekommt so viel mit, ganz am Rand. Wünscht sich oft mehr Zeit dem nachzugehen. Oder manchmal auch Mut. Oder Kraft.
    Im Gemeinschaftsraum vom Seniorenheim fallen mir auch immer wieder mal leere Stühle auf, die sonst besetzt sind. Beim ersten Mal denkt man sich nichts dabei. Derjenige kann ja gerade auf Toilette sein, oder auf seinem Zimmer. Vielleicht sogar mit liebem Besuch.
    Manchmal dauert es ein paar Tage, dann ist er wieder da. Aha, er/sie war vielleicht krank.
    Die, die noch gut zu verstehen sind, spreche ich ja eh meist an. Den anderen nicke ich freundlich zu, sage ein paar nett gemeinte Worte die keiner Antwort bedürfen. Wenn doch etwas kommt lächele ich umso mehr.
    Und viel zu oft erfahre ich durch andere: Er/sie haben es nicht geschafft. Habe manchmal schon Blümchen mitgebracht und auf den leeren Platz gelegt. Die anderen am Tisch freuen sich dann sehr darüber. Nicht jeder hat Angehörige, Freunde oder Bekannte die kommen können und wahrscheinlich haben viele Angst das ihr Weggehen kaum auffällt…….

    Ganz ♥-lich grüßt
    Uschi

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